HEYDEBRAND (1925, 2009) – Vom Lehrplan der Freien Waldorfschule
„Die Erde wird als morphologisches und physikalisches Ganzes beschrieben.“ (Heydebrand 2009, S. 56)
STOCKMEYER (1955, 1988) – Angaben Rudolf Steiners für den Waldorfschulunterricht
„Die 10. Klasse bringt die Erde als Ganzes der Gestalt nach und als Feld des physischen Geschehens im weitesten Umfang.“ (Stockmeyer 1988, S. 189)
CARLGREN (1972, 1986) – Erziehung zur Freiheit
Betrachtung der Erde aus großer perspektivischer Sicht:
- Beweglichkeit der Lithosphäre (vertikal, horizontal; Hebungen, Verschiebung der Kontinente)
- Gestalt der Kontinente, dabei Polaritäten wie z. B. Land- und Wasserhalbkugel
- Zirkulationsprozesse in den Weltmeeren
- Vegetationszonen
- Erscheinungen in der Atmosphäre
- Durchorganisation der Erde durch alle Hüllen, sie ist ein Organismus
(Carlgren 1986, S. 161–162)
RICHTER (1995) - Pädagogischer Auftrag und Unterrichtsziele einer Freien Waldorfschule
Mögliche Unterrichtsinhalte:
- Der Hüllenbau der Erde: Von der Lithosphäre zur Stratosphäre
- Der Aufbau des Erdinneren
- Bewegungsvorgänge der Plattentektonik im einzelnen
- Eigenschaften und Strömungsformen des Wassers. Flüsse und Meeresströmungen als Lebensorgane der Erde. Austausch zwischen Tiefen- und Oberflächenströmung. Stauphänomene
- Schichtung der Atmosphäre. Wetterkunde (eventuell mit praktischen Übungen). Das planetarische Windsystem. Magnetfeld der Erde
- Das Zusammenspiel von Klima- und Vegetationszonen. Die Ökosysteme der Erde als Organe eines Organismus
- Bewegungen und Rhythmen der Erde
(Richter 1995, S. 150)
GÖPFERT (1999) – Das lebendige Wesen der Erde – Zum Geographieunterricht der Oberstufe
«Strömungshülle» der Erde, besonders Wasser und Lufthülle (Göpfert 1999, S. 72)
SCHMUTZ (2001) – Erdkunde in der 9. bis 12. Klasse an Waldorfschulen. Eine Gesamtkonzeption
A1: Kristallographie: geometrische Gedankenbewegung
A2: Die Erde in Bewegung: in Luft-, Wasser- und Gesteinshülle
B: Textiltechnologie: Zusammenwirken von Landschaft und Erfindungen (Schmutz 2001, S. 12)
GÖTTE, LOEBELL, MAURER (2009, 2016): Entwicklungsaufgaben und Kompetenzen – Zum Bildungsplan der Waldorfschule
Die Lebensvorgänge des Organismus Erde selber, vom Erdinneren und der Gesteinshülle über die Wasser- und Lufthülle bis zu den äußeren Sphären, wobei die rhythmischen Prozesse besonders verfolgt werden sollten.
Frei verfügbarer Umgang mit den Themen:
- Hüllenbau der Erde: von der Lithosphäre zur Stratosphäre
- Aufbau des Erdinneren
- Bewegungsvorgänge der Plattentektonik im Einzelnen
- Eigenschaften und Strömungsformen des Wassers
- Flüsse und Meeresströmungen als Lebensorgane der Erde
- Austausch zwischen Tiefen- und Oberflächenströmung; Stauphänomene
- Schichtung der Atmosphäre
- Wetterkunde
- Klimawandel
- das planetarische Windsystem
- das Magnetfeld der Erde
- das Zusammenspiel von Klima- und Vegetationszonen
- die Ökosysteme der Erde als Organe eines Organismus
- Bewegungen und Rhythmen der Erde
(Götte et al. 2016, S. 271)
RICHTER (2016, 1995) – Pädagogischer Auftrag und Unterrichtsziele – vom Lehrplan der Waldorfschule
Mögliche Unterrichtsinhalte
- Die Gestalt der Erde
- Die Folgen der Neigung der Erdachse
- Der Hüllenbau der Erde: von der Lithosphäre bis zur Exosphäre
- Der Aufbau des Erdinneren
- Alfred Wegener und die Drift der Kontinente
- Das Konzept der Plattentektonik
- Eigenschaften und Strömungsformen des Wassers; Flüsse und Meeresströmungen (als Lebensorgane der Erde)
- Die Schichtung der Atmosphäre; Wetterkunde (eventuell mit praktischen Übungen, z. B. Aufzeichnung und Auswertung von Wetterdaten einer Wetterstation)
- Das planetarische Windsystem (auch z. B. El Niño)
- Das Magnetfeld der Erde
- Das Zusammenspiel von Klima- und Vegetationszonen
- Bewegungen und Rhythmen der Erde
(Richter 2016, S. 373)
In seinen Stoffangaben richtet STEINER den Fokus auf einen physiogeographischen Gesamtblick (von der Lithosphäre über die Hydrosphäre bis zur Atmosphäre). Dabei soll das Festgewordene, das Morphologische, wie z. B. die Formen der Kontinente ebenso betrachtetet werden wie das Physikalische (vor allem die verschiedenen Strömungen in der Hydro- und Atmosphäre). Die Erde als Ganzes ist die Kurzformel, die er gleich zweimal verwendet. An dieser Stelle gibt es allerdings keinen Hinweis darauf, dass man auf den Organismusbegriff der Erde eingehen möge.
HEYDEBRAND und STOCKMEYER begnügen sich damit, die genannte Kurzformel Erde als Ganzes zu replizieren, wobei STOCKMEYER noch Wert auf die Gestalt der Erde legt.
Die ersten wesentlichen Ergänzungen und Neuerungen finden sich bei CARLGREN. Zum einen empfiehlt er die Betrachtung der Vegetationszonen, die man sich sicher im Anschluss an eine Betrachtung der Klimazonen zu denken hat. Zum anderen bringt er den Organismusbegriff der Erde ins Spiel, der an der Durchorganisation der Erde durch alle Hüllen festgemacht ist, aber auch an dem Begriff der Polaritäten, der bei dem Organismusgedanken eine wichtige Rolle spielt und den CARLGREN bei der Gestalt der Kontinente nennt.
Das Gemeinsame bei GÖPFERT und SCHMUTZ besteht darin, dass für beide der Bewegungsaspekt im Vordergrund steht. SCHMUTZ bezieht dieses nicht nur wie GÖPFERT auf die Hydro- und Atmosphäre, sondern auch auf die Lithosphäre. Für ihn ist der Charakter der Bewegung so essentiell, dass er im Unterschied zu allen anderen Didaktikern „die Epoche «Die Erde in Bewegung» nenn[t] und nicht «Die Erde als Ganzes». Erst in der 12. Klasse kann die Erde als Ganzes gewürdigt werden“ (Schmutz 2001, S. 43), so seine knapp gefasste Begründung. Übrigens verwenden beide nicht den Sphärenbegriff, sondern sprechen von Hüllen. SCHMUTZ schlägt noch zwei weitere Themengebiete vor, eine Epoche zur Kristallographie und eine zur Textiltechnologie; beide dürften eher selten unterrichtet werden. Für GÖPFERT ist es ein weiteres zentrales Anliegen, sich mit dem Organismusbegriff zu beschäftigen, worauf ja allein schon der Titel seines Buchs Das lebendige Wesen der Erde unmissverständlich hindeutet. Dieser Begriff taucht aber auch in den durch ihn verantworteten Lehrplanangaben in RICHTER (1995) auf und infolgedessen auch in GÖTTE/LOEBELL/MAURER (2016). Darüber hinaus waren ihm die Klima- und Vegetationszonen bzw. Ökosysteme wichtig.
Leider werfen GÖTTE, LOEBELL, MAURER die beiden Klassen 9 und 10 bei den Unterrichtsinhalten zusammen und zählen ohne Abgrenzung die genannten Themen auf. Es wird so nicht deutlich ersichtlich, ob die Themen Hüllenbau der Erde: von der Lithosphäre zur Stratosphäre, Aufbau des Erdinneren und Bewegungsvorgänge der Plattentektonik im Einzelnen in der 9. oder in der 10. Klasse behandelt werden sollen. Für die 9. Klasse spricht die Zugehörigkeit der genannten Themen zur Gesteinshülle, für die 10. Klasse käme eine Behandlung unter dem Gesichtspunkt der Lebensvorgänge der Erde und der rhythmischen Prozesse in Betracht. Erst der Vergleich mit dem RICHTER-Lehrplan sorgt hier für Klarheit.
RICHTER (2016) greift im Wesentlichen die Themen der oben genannten Werke auf und verbindet die traditionellen Gesichtspunkte wie den Hüllenbau der Erde mit moderneren wie El Niño. Die Wetterkunde ist hinzugekommen mit ihren heutigen technischen Möglichkeiten des Datenzugangs.
In keinem dieser Werke ist eine Abweichung von dem rein physiogeographischen Blick zu erkennen. Gleichwohl liegt bei vielen dieser Themen nahe, die Auswirkungen auf den Menschen zu schildern. In der Unterrichtspraxis wird der Geographielehrer die sich bietenden Gelegenheiten sicher nicht verstreichen lassen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Welche Auswirkungen hat El Niño auf die betroffenen Regionen und die Menschen, die dort leben (z. B. Reduzierung der Fischbestände vor Peru, dadurch Folgen für die Fischerei).
Klaus Weißinger